Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen. Roman Hansa 2025
Stilistisch anstrengend und schwer lesbar
Der Roman "Die Holländerinnen " von Dorothee Elmiger steht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2025. Mich hat er vor große Herausforderungen gestellt, ist er doch stilistisch schwer zu lesen, düster und auf den ersten Blick ohne roten Faden. Kompliziert wird es auch dadurch, dass Elmiger ihre Geschichte auf drei Ebenen erzählt. Die erste Ebene umfasst einen Vermisstenfall in Panama. Zwei Hölländerinnen sind dort verschwunden, einzig ein Rucksack wurde gefunden mit einem Handy, das viele Nachtfotos zeigt, ohne dass sie den Aufenthaltsort der Frauen preisgeben. Ebenfalls auf der ersten Ebene hat es sich ein Theatermacher nach dem Vorfall zur Aufgabe gemacht, den Vermisstenfall in einem Theaterstück zu rekonstruieren. Er heuert eine Theatercrew an, die in den Jungel reist um sich auf die Spuren der Holländerinnen zu begeben.
Die zweite Ebene umfasst die schier endlose Aneinanderreihung von Geschichten, die sich die Teinehmenden auf ihrer Mission erzählen. Diese folgen scheinbar keinem erkennbaren roten Faden, erst bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass es immer um das Thema Angst und um menschliches Versagen geht. Auch die überbordende Natur, gegen die der Mensch nicht ankommt, ist oft ein Thema.
Auf der dritten Ebene erzählt die Protagonistin, die von den Theatermacher eingeladen wurde, vor einem Auditorium von Studenten von ihrer Reise in den Jungel. Sie stützt sich dabei auf lose Zettel, beiläufig notierte und selbst schlecht lesbare Notizen, die sie als auserkorene Chronisten der Fallrekonstruktion aufgeschrieben hat. Sie erzählt die gesamte Geschichte in der indirekten Rede und hält dies konsequent durch. Die ist anstrengend für den Leser und auch sehr ungewohnt.
Die Geschichten der Schauspieler reihen sich aneinander und man kann als Leser schnell den Überblick verlieren. Zudem ist diese Erzählweise ermüdend und man schaltet zwischendurch leicht ungewollt ab. Vielleicht liegt es daran, dass der Roman in der indirekten Rede geschrieben ist, was den Zugang sperrig macht, oder daran, dass ein roter Faden scheinbar fehlt.
In der Rückschau jedoch muss man die raffinierte Konstruktion des Romans auf den verschiedenen Ebenen, die sprachliche Dichte und Poesie aber durchaus anerkennen.
Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen. Hanser 2025
"Verdorben und zugleich unschuldig"
Michael Köhlmeier erzählt in seinem neuen Roman von Johann, der Anfang der 70er Jahre nach Marburg kommt, um dort Politologie zu studieren. Er erscheint ambitioniert, ist stolz darauf, mit dem Schreiben von Arrikeln und mit der Arbeit als Tutor für Erstsemester, sein eigenes Geld zu verdienen. In seiner Funktion als Tutor trifft er auf das Pärchen Christiane und Tommi. Christiane entpuppt sich als die treibende Kraft, die Johan in eine Dreiecksbezihung zieht. Es entspinnt sich eine fatale Verstrickung aus Liebe, Hass, Langeweile und Leere.
Johann scheint seine großen Pläne aufzugeben, arbeitet nicht mehr und verfällt zunehmend dieser Beziehung, die eigentlich keiner der Betroffenen wirklich will. Er ist besessen von Christiane und gleichzeitig abgestoßen, unternimmt immer wieder Versuche, vor ihr wegzulaufen. Er kauft sich aufs Blaue Zugtickets und fährt weg, nur um dann doch zurückzukommen. Bei seinem letzten Fluchtversuch kehrt er in sein Elternhaus zurück, bestiehlt seine Eltern und zieht von dort aus weiter. Die Lage spitzt sich zu, bis Johann schließlich zum Mörder wird. Damit scheint er einen von Kindheit an gehegte Wunsch in die Tat umzusetzen, nämlich den, irgendwann einen Menschen zu töten.
Köhlmeier erzählt diese abgrundtief böse Handlung von Obsession und Hass in einem leicht zu lesenden Stil. Seine Sprache bleibt nüchtern bis sachlich, was so gar nicht zum Inhalt des Erzählten passen will. Daher bleiben dem Leser die Protagonisten auch fremd und wenig nachvollziehbar. Noch weniger nachvollziehbarer erscheint, dass Johann mit seiner Tat davonkommt, von seinem Anwalt mit "verdorben und zugleich unschuldig" freigesprochen.
Was als kleine böse Geschichte daherkommt, beinhaltet tiefgründige philosophische Fragetsellungen. Kann man verdorben unschuldig sein? Verdorben von Geburt an beziehungsweise unschuldig verdorben?
Das Ende des Romans lässt erahnen, dass keine der Figuren etwas dazugelernt hat oder seine Taten bereut.
Besonder gut beschrieben hat Köhlmeier das Studentenleben der 70er Jahre in der Universitätsstadt Marbug. Da ich selbst in Marbug studiert habe, habe ich mich über viel Lokalkolorit freuen können.
Robert Seethaler: Ein ganzes Leben.
Goldmann Verlag 2016
Die Geschichte eines einfachen Lebens
Dieses kurze großartige Buch erzählt die Lebensgeschichte von Andreas Egger, einem einfachen Mann, der in einem kleinen Dorf inmitten von Bergen lebt. Egger hatte es nicht leicht im Leben. Nie. Als Kimd so misshandelt, dass er für immer hinkt, kämpft er sich im Erwachsenenalter durch alle Widrigkeiten und Entbehrungen. Er findet dennoch seine einzige große Liebe - nur um sie bald darauf wieder zu verlieren. Egger bleibt fortan allein, ein einsamer, aber genügsamer und meist zufriedener Mann. Auf wenigen Seiten präsentiert Seethaler, wie der Wandel und der Fortschritt in das kleine Dorf einziehen und wie Egger sich immer wieder neu anpasst und neue Rollen für sich erfindet. In seiner Jugend arbeitet er bei den Bauern und hilft in der Landwirtschaft. Als Strom und Elektrizität Einzug in das Tal halten, verdient er sein Geld mit dem Bau von Sesselliften. Mit Fortschreiten des zweiten Weltkrieges zieht er selbst in den Krieg und verbringt viele Jahre in russischer Gefangenschaft. Zurück im Dorf, das mittlerweile zum Touristenort geworden ist, verdingt er sich als Wanderführer.
Seethaler setzt gekonnt eine nüchterne und sachliche Sprache ein, die zu dem einfachen Leben, das Egger führt, passt. Dies führt aber auch dazu, dass der Leser immer eher auf Distanz zum Geschehen bleibt. Dies wird nur zweimal unterbrochen, nämlich als Egger seine große Liebe findet und an seinem Lebensende.
Es ist ein leiser Roman, der von Mut, Überlebenswillen und von der Dankbarkeit für die kleinen Dinge erzählt.
Han Kang: Unmöglicher Abschied. Aufbau Verlag 2024
Ergreifend und tief beunruhigend
Han Kang erzählt in “Unmöglicher Abschied” die Geschichte eines kollektiven Traumas. Während die äußere Handlung in der koreanischen Gegenwart spielt, reichen die Erinnerungen und Wunden der Protagonisten weit in die Vergangenheit.
Der Beginn des Romans befasst sich mit Gyeongha, die als lebensmüde Frau beschrieben wird, die täglich ein neues Testament verfasst. Beruflich widmet sich Gyeongha Kriegsverbrechen, die sie in ihren Büchern rekapituliert. Es ist zu vermuten, dass ihre Gefühlslage eng mit den Recherchen für diese Arbeit zusammenhängt. Eines Tages wird ihr tristes Dasein durch einen Anruf unterbrochen. Eine Freundin, mit der sie ein gemeinsames Projekt zu den örtlichen Massengräbern plant, ruft sie nach einem Unfall aus dem Krankenhaus an. Sie tritt mit der Bitte an Gyeongha heran, ihren kleinen weißen Vogel zu versorgen, während sie im Krankenhaus liegt, da er sonst sterbe. Geongha macht sich daraufhin auf den weiten Weg zu der Insel, auf der Inseon lebt. Dabei gerät sie in einen Schneesturm und kämpft sich mühsam und mit letzter Kraft zum Haus der Freundin durch. Im Haus findet sie einen leeren Käfig vor. Von da an wird die Erzählung zunehmend brüchiger und fragmentarischer. Gedanken und Bilder, die scheinbar nichts mit der Realität zu tun haben kommen auf, zum Beispiel befindet sich Inseon plötzlich bei ihr im Haus. Gyeongha finder in Inseons Zuhause die Geschichte eines kollektiven Traumas. Inseons Mutter hat in den Jahren 1948/49 die Niederschlagung von Aufständen miterlebt und konnte nur knapp entkommen. Dieses Trauma hat sie auch an Inseon weitergegeben, die sich beruflich ebenfalls mit Gewalt und Tod beschäftigt.
Der Aufbau des Romans scheint der Art und Weise, wie traumatisierte Menschen sich erinnern, nämlich fragmentarisch und in blitzartigen Bildern zu entsprechen. Dementsprechend ist es nicht immer leicht, der Handlung zu folgen.
Ferner ist der Roman voller Symbolik. Die Farbe ‘Weiß’ ist hierfür ein Beispiel. Der weiße Schnee begräbt die Erinnerungen an das Grauen, der weiße Vogel ist zerbrechlich wie eine Schneeflocke und steht für Lebendigkeit und Gegenwart. Als Gyeongha im Haus ankommt, ist sie dem Schnee entkommen und der Vogel scheint tot zu sein. Damit kann sie auch nicht mehr vergessen, sondern muss sich dem Trauma stellen.
Voller Aussagekraft ist auch das Ende, das offen lässt, was mit dem Vogel passiert ist.
Han Kang hat keinen leicht verdaulichen Roman geschrieben. Der Leser selbst erlebt die traumatischen Auswirkungen der Gräueltaten unmittelbar mit. Es ist ein Roman, der noch lange nachklingen wird.
Markus Veith: Die erste Bahn: OCM 2021
Spannend wie ein Krimi
In einer verregneten verheißungsvollen Nacht rettet sich Kai Trollman vor dem Regen in eine U-Bahnstation. Er verpasst in letzter Sekunde die letzte Bahn des Tages. Die nächste würde erst am nächsten Morgen fahren. Trollmann verflucht sich, weil er sein letztes Geld für eine Flasche Alkohol ausgegeben hat, anstatt sich ein Taxi nach Hause zu nehmen. Er stellt sich auf eine lange Nacht in. der U-Bahnstation ein. Kurze Zeit später gesellt sich eine ältere Frau zu ihm und die beiden beäugen sich misstrauisch, bis sie ins Gespräch kommen und sie sich vorstellt: „ Ich bin deine Tochter. Ich komme aus der Zukunft und ich werde dich erschießen.“ Helen spiegelt Trollmann in dieser Nacht wider, was für ein Vater er war, welche Fehler er begangen hat und warum sie ihn erschießen muss. Alles scheint auf ein fatales Ende zuzulaufen. Gleichzeitig wird Trollmann eine mögliche Zukunft aufgezeigt und eine Gegenwart, in der alles passieren kann.
Fast schon philosophisch nähert sich der Autor den Themen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Menschen an. Wie hängen die Zeiten zusammen und beeinflussen sich gegenseitig? Und welches Ende wird für Kai Trollmann bestimmt sein?
Der Roman liest sich spannend wie ein Krimi und lässt einen mit seinen philosophischen Implikationen lange nicht los.
Lara Grosse: If we were Gods. LEAF Verlag 2025
Ohne Tiefgang
Der Roman "If we were Gods" ist dem Dark-Acadamy Genre zuzuordnen. Er beginnt damit, dass eine junge Studentin aus Prag an die Eliteschule für arkane Künste kommt. Von da an wird eine ganz neue Welt mit ihren ganz eigenen Mechanismen entworfen. Das Wording ist zunächst fremd und unverständlich, passt aber zu dem entworfenen Universum. Der Leser wird zunächst mit viel Theorie über die arkanen Wissenschaften konfrontiert.
Alles in allem ist es eine große Leistung, eine so ausgeklügelte Welt mit eigenen Gesetzen zu entwerfen. Die Handlung jedoch ist seicht und vorhersehbar. Von Beginn an wird durch wenig subtile Hinweise klargestellt, dass wir hier eine Enemy-to-Lovers Geschichte vor uns haben. Auch das Vorhaben der Gruppe von Studenten, die sich gleich zusammenfinden, bleibt kein Geheimnis. Der Roman ist zu vorhersehbar.
Für eingefleischte Dark-Academy Liebhaber vielleicht ein Muss, für alle anderen zähe Kost mit wenig Tierfgang.
L. D. Smithson: Die Festung. Hoffmann und Campe 2025
Wenn aus Reality-Show bitterer Ernst wird
Eigentlich hatte sich ihre Schwester dem aufwändigen Bewerbungsverfahren unterzogen, um an einer angesagten Reality-Show, einem Escape-Room-Spiel, teilzunehmen. Als sie sich aber bei einem Unfall das Bein bricht, springt Bonnie für sie ein, da die Schwestern das ausgeschriebene Preisgeld gut gebrauchen können, um das Haus der Mutter nicht zu verlieren. Widerwillig beginnt Bonnie, sich für ihre Schwester auszugeben und an der Show teilzunehmen. Die insgesamt acht ausgewählten Kandidaten werden auf einem Schiff zu einer abgelegen Insel gebracht. Diese besteht nur aus einer Festung, auf der sie dann ausgesetzt werden. Zunächst beginnt alles noch mit harmlosen Streichen, Schauermomemten und dem Kennenlernen der Kandidaten. Doch schon bald bemerkt Bonnie, dass es auf der Festung nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie vermutet, dass sie nicht allein auf der Insel sind und spätestens, nachdem der erste Kandidat stirbt, wird für alle deutlich, dass es sich hier um kein Spiel, sondern um bitteren Ernst handelt.
Smithson gelingt es, die Spannung kontinuierlich aufzubauen, bis sie in einem klaustrophobischen Gang im Keller der Festung ihren Höhepunkt findet. Die Kandidaten sitzen fest, es wird stetig heißer und sie haben nur eine kleine Menge an Wasser und Verpflegung zur Verfügung. Dabei müssen sie Rätsel lösen, um am Ende von der Festung herunterzukommen. Die Beschreibung lässt den Leser mitfiebern. Die psychologischen Implikationen, die eine solche Extremsituation mit sich bringt, wird an dem Verhalten der Teilnehmer deutlich gemacht.
Neben diesem Hauptplot scheint es noch ein weiteres Thema zu geben, nämlich der im ersten Kapitel erwähnte Mordfall, der zunächst nicht weiter verfolgt wird. So fragt man sich während des Lesens, wie diese thematischen Stränge im Zusammenhang stehen.
Das Ende wartet mit vielen Überraschungen und unerwarteten Wendungen auf.
Smithson scheint in diesem Thriller auf Elemente verschiedener TV-Formate zurückzugreifen, wie zum Beispiel Fort Boyard, Escape-Room-Spiele und Big Brother. Daraus strickt sie eine neue spannende Geschichte. Allerdings scheinen einige Handlungselemente stark an den 2019 erschienen Film "Escape-Room" zu erinnern. So zum Beispiel ein außergewöhnliches Auswahlverfahren, Prüfungen, die die Teilnehmer bestehen müssen (heiße Luft etc.) und schließlich die Tatsache, dass es um Leben und Tod geht.
Alles in allem ist es eine spannende, süchtigmachende Geschichte, die man nur schwer aus der Hand legen kann.
Gregory Maguire: Wicked. Die Heyen von Oz. Hobbit Presse Klett-Cotta 2025
Langweilig und zäh
Als großer Fan von "Wicked" das Musical, habe ich mich sehr auf dieses Buch gefreut. Und dann die Enttäuschung. Der Roman ist holprig zu lesen, zäh und zu politisch. Es ist mir nicht gelungen, einen Zugang zum Text zu finden, deshalb habe ich die Lektüre auch vorzeitig abgebrochen.
Wenn man den Zauber des "Zauberers von Oz" wiedererleben möchte, dann sollte man sich eher das Musical anschauen.
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